Durch die Presse erfuhr das Bürgerhaus Glockenbachwerkstatt, dass die Stadt München in einer Sitzung vor der Sommerpause beinahe beschlossen hatte, die drei benachbarten Häuser in der Müllerstraße 2-6 durch einen neuen Wohnungsbau zu ersetzen und ihren Bolzplatz gleich mit zu überbauen. Die vielen unterschiedlichen Nutzer der Einrichtung, die von Kinderkrippe bis Jugendgruppen alle auf den Bolzplatz angewiesen waren, empörten sich darüber, dass die Planung ohne Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse umgesetzt werden sollte. Eine Diskussionsrunde mit dem Kommunalreferenten endete ohne Ergebnis, Nutzer, Eltern und Sympathisanten gingen daraufhin auf die Straße und protestierten.
Es stellte sich zudem heraus, dass die drei benachbarten Häuser seit Jahren fast leer standen. Angesichts der Münchner Wohnungsnot sorgte das unter den Protestierenden für weitere Empörung. Die Stadt erklärte auf Nachfrage eine Sanierung sei unwirtschaftlich, das hätten die beauftragten Architekten ermittelt. Ferner ließen sich die vorhandenen Wohnungsgrundrisse nicht in dauerhafte Förderprogramme des sozialen Wohnungsbaus überführen.
Die Stadt geriet weiter in die Defensive als wir dabei unterstützten eine der „unsanierbaren“ Wohnungen in einer medienwirksamen „Gorilla“-Aktion beinahe luxuriös herzurichten. Da die Stadt München aber weiterhin keine wirtschaftliche Möglichkeit für eine Nutzung der Gebäude sah, entstand unter einigen der Aktivisten die Idee die Gebäude in eine Genossenschaft zu übereignen und in eine soziale Nutzung zu überführen.
Einige Jahre und Protestaktionen später gab die Stadt München schließlich ihren Widerstand gegen diese Idee auf und unterstützte sie fortan. Aus der Protestbewegung formierte sich die gemeinnützige Genossenschaft Bellevue di Monaco mit dem Ziel, die Gebäude in ein Wohn-, Begegnungs- und Kulturzentrum zu verwandeln.
Bellevue di Monaco, nach einem langwierigen öffentlichen Vergabeprozess Erbpächter der Gebäude, wählte unter sieben Bewerbern das Konzept unseres Architekturbüros aus. Dieses sah vor, die Möglichkeiten und Qualitäten des Bestands zu sichern und zu entwickeln. Wir wollten das Vorgefundene erhalten und ergänzen, lieber in die Reparatur bestehender Bauteile Arbeitszeit investieren als neue Bauprodukte verwenden. Beim Bau wollten wir zudem ortsansässige Handwerksfirmen für die Idee gewinnen, Geflüchtete während des Sanierungsprozesses für eine Ausbildung zu qualifizieren. Wichtig war uns “nachsichtig” mit dem Bestand zu sein und Ressourcen zu schonen.
Entstanden ist ein lebendiger Ort, der den Optimismus der fünfziger Jahre in Gestalt eines sechsgeschossigen Wohnturms wieder aufleben lässt. So wie es mit einem Bolzplatz für die Gemeinschaft begonnen hat, so endet es mit einem Bolzplatz, als krönenden Abschluss: Oberbürgermeister Dieter Reiter eröffnete am 15. Oktober 2020 auf dem Dach des Wohnturms den neuen Bolzplatz.
Projektdaten:
Sanierung 3 Bestandsgebäude erbaut zwischen 1870 und 1958
Bauherr: Sozialgenossenschaft Bellevue di Monaco
BGF: 2569,40 m²
Fertigstellung: 1. + 2. Bauabschnitt: 2018
Eröffnung Dachsportplatz: Oktober 2020
Projektteam: Matthias Marschner, Clarissa Weidinger, Isabell Schleicher, Lisa Kobuch, Tobias Friedel, Nelly Lettenmeyer
Filme:
Preise:
polis AWARD Kategorie Soziale Quartiere 2021, Preis für Baukultur der Metropolregion München 2021, BDA Preis 2019, Architekturpreis Über Oberbayern 2024
März 2013
Aktivisten gründen die fiktive Immobilienfirma Goldgrund und sanieren eine Wohnung in der Müllerstrasse 6. Die Goldgrund-Gorilla-Renovierungsaktion wurde mit einem Video veröffentlicht: Unter den „Gorillas“ waren zahlreiche Prominente wie Mehmet Scholl, die Sportfreunde Stiller, Dieter Hildebrand und viele andere.
2014-2015
Protestaktionen bei der sich eine Bürgerinitiative für den Erhalt der Gebäude in der Müllerstrasse 4-6 formieren.
August 2014
Gründung Aktionsbündnis Flucht und Migration – Ziel Sammelunterkünfte von Stadträndern ins Herz der Stadt bringen
Januar 2015
Stadtrat nimmt Abriss-Planungen zurück
Dezember 2015
Abgabe Bewerbungsunterlagen an Kommunalreferat für das Erbbaurecht
März 2015
Gründung Sozialgenossenschaft, mit dem Ziel in der Innenstadt ein Unterbringungs- und Kulturzentrum für unbegleitete jugendliche Flüchtlinge und interessierte Münchner zu etablieren: die Bellevue di Monaco eG. Das eG steht für eine offiziell eingetragene Genossenschaft. Diese außergewöhnliche Organisationsform erlaubt es, das für Renovierung und Umbau nötige Grundkapital durch Mitgliedereinlagen aufzustellen und gibt den Mitgliedern großes Mitspracherecht.
Januar 2016
Entscheidung des Münchner Stadtrates, das Erbbaurecht an Bellevue di Monaco zu vergeben
Januar 2016
Start Planung Sanierung durch das Architekturbüro hirner &riehl architekten welches durch einen Wettbewerb ausgewählt wurde
April 2016
Die Landeshauptstadt München vergab das Grundstück mit den Gebäuden für die nächsten 40 Jahre im Erbbaurecht an die Sozialgenossenschaft“.
Oktober 2016
Start Bauarbeiten Sanierung
April 2017
Bezug der ersten sanierten Wohnungen
August 2018
Bezug der letzten Wohnungen und Eröffnung Cafe. Das Bellevue bietet nun etwa 40 Menschen Unterkunft, sowie Beratungsangebote und ein großes Kulturprogramm. Zentrale Anlaufstelle zum Thema Flucht und Migration.
2019
Sammlung Spenden für Dachsportplatz mit einem Video „Lass es fliegen“ mit Prominenten und einem geplanten Stadtlauf
April 2020
Baustellenstart Dachsportplatz
Oktober 2020
Eröffnung Dachsportplatz